Gendern - kaum ein Thema spaltet Deutschland so sehr
- Chantal Faber
- 30. Nov. 2021
- 4 Min. Lesezeit

Diese Woche hat mich das "Gendern" in öffentlichen Diskussion, an dem sich alle gerade abarbeiten, bewegt. Eine Partei warb mit dem Slogan "Deutsch statt Gendern" im Bundestagswahlkampf. Ein Supermarkt hat einen Shitstorm bekommen, weil sie aus dem Studentenfutter "Student*innenfutter" gemacht haben. Und schon sind wir mitten drin im Kampf um Worte, deren Bewertung und Bedeutung. "Dopellpunkt, Sternchen stört". Diese Debatte wird jedoch häufig sehr eindimensional geführt. Im Augenblick finden wir uns da, herauszufinden, wie Gendern funktioniert. Auch bringt es erstmal einen Shitstorm mit sich.
Ist das richtiger Weg und bringt Gendern überhaupt etwas?
Um diese Fragen zu beantworten ist es im ersten Schritt sinnvoll zu überlegen, was der Begriff "Gendern" eigentlich bedeutet?
Gendern ist ein eingedeutschtes Wort aus dem angelsächsischen Sprachraum und steht für soziales Geschlecht, für Vergeschlechtlichen und wird vor allem gebraucht, wenn es um den Geschlechterbewussten Sprachgebrauch geht. Die Gendersprache bezeichnet einen Sprachgebrauch, der in Bezug auf Personenbezeichnungen die Gleichbehandlung aller Geschlechter zum Ziel hat und diese Gleichstellung in gesprochener und geschriebener Sprache zum Ausdruck bringen will. Argumente gegen das Gendern gibt es eine ganze Menge. "Es macht die Sprache komplizierter", "Es ist ein künstlicher Eingriff",
Was spricht für Gendern in der Sprache? Wird dadurch mehr Gleichberechtigung erreicht?
In der Literatur ist Gendern der Versuch alle Geschlechter in der Sprache abzubilden, hierbei gibt es verschiedene Möglichkeiten:
Generisches Maskulinum (Männliche Form): Liebe Mitarbeiter
Nennung von zwei Geschlechtern: Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Neutralisierende Form: Liebe Mitarbeitende
Genderstern, Binnen-I oder den Doppelpunkt: Liebe Mitarbeiter*innen, MitarbeiterInnen, Mitarbeiter:innen
Und welche Möglichkeit ist nun die Beste, um die Sprache tatsächlich gerechter zu machen?
Gendergegner*innen argumentieren: "Das Generische Maskulinum" bezieht sich auf die Funktion und die Darstellung und nicht auf das Geschlecht des jeweiligen Adressaten." Die Wissenschaft hingegen argumentiert, dass das generische Maskulinum nicht präzise ist und auch nicht alle Gruppen anspricht.
Die Doppelnennung von Geschlechtern wird kritisch gesehen, weil es sich auf den Unterschied zwischen den Geschlechtern fokussiert und es nicht schafft, allgemein zu sprechen. Weiterhin werden die beiden Geschlechter Mann und Frau in den Vordergrund gestellt und es wird nicht sichtbar gemacht, dass es noch mehr Geschlechter gibt.
Sind also Neutralisierungen das Allheilmittel?
Forschungen hierzu sehen einen Vorteil darin, da hierdurch das Geschlecht (Mann/Frau) in den Hintergrund gerückt wird, denn insbesondere im Deutschen ist das grammatische Geschlecht, das Genus, stark vertreten und jedem Wort muss ein Geschlecht zugeordnet werden. Sprachforschende finden neutrale Formen als einen guten Anfang. In Ländern mit neutralen Sprachen wie z.B. dem Finnischen trägt die Sprache wesentlich mehr zur Gleichberechtigung bei als bspw. im Deutschen. Sprachforschende weisen aber darauf hin, dass diese Formen sehr umständlich sind und es zu Verzerrungen der Wirklichkeit durch Formulierungen, gedankliche Annahmen oder statistischen Fehlern, die zu falschen Darstellungen der tatsächlichen geschlechterspezifischen Verhältnisse kommen kann. (Siehe Gender Bias) Bspw. benutzen viele Sprachen für kulturbedingt Aussagen über Menschen und über Männer dieselben Formulierungen. Daneben existieren Bezeichnungen mit geschlechtsbezogener Begriffsgeschichte. (Der Schmied, Die Hebamme)
Das Gendersternchen ist die Form, über die derzeit am häufigsten debattiert wird. Es gibt derzeit noch keine Forschungen dazu. Was mittlerweile bekannt ist, dass Texte mit dieser Form für Leser*innen nicht schwieriger zu verarbeiten sind. Für nicht binäre Menschen wird diese Form, als Anerkennung angesehen und macht einen Unterschied. Diese Menschen haben das Gefühl durch diese Form weniger Diskriminierung zu erfahren.
Fakt ist:
Das Thema Gendern ist reaktionär und es stehen sich zwei Gruppen, die "Entdecker*innen" und "Bewahrer*innen", gegenüber.
Sprache ist ein Stück weit Identität und Gendern ist im Deutschen Sprachgebrauch nicht so ganz einfach.
Das Genderthema entsteht also durch den erzwungenen Sprachwandel und damit dann auch verbunden dem negative Assoziation mit dem Kampf gegen diskriminierende Strukturen.
Menschen empfinden das Gendern als anstrengend und irritierend und projizieren dies auf Kerndebatten zur Diskriminierung. By the way: Diskussionen über geschlechtergerechte deutsche Sprache werden bereits seit den 1970er Jahren geführt. Für alle, die tiefer eintauchen möchten, empfehle ich diese Seite.
Aber zurück zur Ausgangsfrage: Bringt Gendern denn etwas?
Meine Meinung: Ja, absolut!
Wissenschaftlich bewiesen ist z.B., dass Frauen dadurch sichtbarer werden und Kinder/Jugendliche sich verstärkt nicht stereotype Berufe zutrauen. Welche Form allerdings die richtige ist, muss die Gesellschaft noch ausdiskutieren. Gendern ist dabei aber mehr ist als nur eine Ideologie. Eine männlich geprägte Sprache trägt nachweislich zu einem männlich geprägten Blick auf die Gesellschaft bei. Gendern in der Sprache kann also tatsächlich etwas bewirken, wie bspw., dass mehr Frauen für typisch männliche Berufe gewonnen werden können.
Mein Fazit/ Meine Keylearnings:
Ausprobieren hilft! Ich persönlich versuche einerseits geschlechterneutrale Bezeichnungen zu wählen, aber nutze auch den Genderstern aufgrund der Symbolik. (Viele Strahlen stehen für die Vielfältigkeit)
Wir merken, dass Sprache einen gewissen Entwicklungsprozess gehabt hat und auch heute noch haben wird. Neutrale Formen scheinen viele Vorteile zu haben, zeigt die Wissenschaft und hilft darüber hinaus die Debatte weg von dem Geschlechtsspezifischen Unterschied zu nehmen.
Es gibt also kein perfektes Rezept, aber vielleicht ist dies gar nicht notwendig. Je mehr wir die Gleichberechtigung leben, desto mehr wird sie sich in unserer Sprache verankern.
Der Begriff Gendern wird oftmals mit dem Begriff Diversität/Diverstity gleichgesetzt, aber dies ist nur eine eindimensionale Betrachtungsweise. Diversität ist viel breiter, als nur die Differenzierung zwischen verschiedenen Geschlechtern, aber dazu mehr in meinem nächsten Post. :-)
Mein Appell: Wir schaffen dies gemeinsam, wenn wir in unserem eigenen Wirkkreis Verantwortung übernehmen. Einen ersten Schritt mache ich persönlich mit meinem neuen Blogbeitrag.
Empfehlenswerte Quellen zu dem Thema:
Hart aber fair 05.10.2020 Streit um die Sprache: Was darf man noch sagen und was besser nicht?
Der Tagesspiegel vom 30.08.2021: "Gendern macht die Diskriminierung nur noch schlimmer"
Sprachreport Jg. 34 (2018) Nr. 3, S. 44-50: Und ob das Genus mit dem Sexus:
Linguistik online: Das generische Maskulinum: https://bop.unibe.ch/linguistik-online/article/view/915/1595
Linguistic Forms and Leadership: https://boris.unibe.ch/75293/7/Horvath%20%20Sczesny%20%282015%29%20Reducing%20the%20lack%20of%20fit%20%28word-version%29.pdf
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